Figur am Rand bis Möbel ohne Modell
(2007 bis 2020)

Text zum Katalog „Körperrand“, Ritter Verlag, 2021


Es war nicht geplant, zehn Jahre lange dasselbe Modell zu malen. Es ist wohl eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen uns entstanden. Hansjörg Zauner war immer motiviert, sich unentgeltlich als Modell zur Verfügung zu stellen, wobei er auch der einzige Mensch in meinem Umfeld war, der mit seiner Zeit so großzügig umgehen konnte. Er war als Schriftsteller für experimentelle Literatur und bildender Künstler ein inspirierendes Modell, vielleicht könnte man auch Muse (Muser?) sagen. Aber die Bildfolge Figur am Rand dokumentiert auch mein Ringen, die Bilder von seiner Präsenz zu befreien. Ein halbes Jahr vor seinem Tod 2017 habe ich die Zusammenarbeit mit ihm beendet.

Sowohl in der Serie der Stuhlkörper meiner Diplomarbeit als auch in den ersten Bildern mit männlichem Modell befindet sich der Körper wie eine Insel inmitten des Bildes, Vorder- und Hintergrund sowie Gegenstände verschwinden in der einfärbigen Farbfläche, während sich dann im Lauf der Zeit die Gegenstände – zuerst nur als Linien sichtbar – aus der Fläche herausschälen und eigenständig entwickeln. Dabei habe ich versucht, mit den Gegenständen des Raumes im Sinne von Zauners Sprachverständnis umzugehen, also seine lustvollen bis absurden Wortkaskaden in ein visuelles Medium zu übersetzen, indem ich die Dinge auf das, was mich momentan an ihnen interessierte, reduziert und spontan mit Anderem aus dem Umfeld kombiniert habe. Die Gegenstände meines Ateliers bekamen Leben durch die malerische Umsetzung ihrer Oberflächen  –  Stoff, Holz oder Plastik wurden schließlich in der selben Intensität gemalt wie Haut.

Gegenstände wie der Stuhl, der Tisch und die Luftmatratze beginnen mit dem jahrelangen Malen des Modells der Figur gleichwertig zu werden und entwickeln Persönlichkeiten, die sich aktiv neben oder gegen die Figur positionieren. Besonders die Luftmatratze setze ich nicht zuletzt durch ihre intensive Farbigkeit als dominantes, undefinierbares Projektionsobjekt gegen die Figur im Bild ein.

In der Serie Figur am Rand habe ich die Methode des spontanen Fragmentierens auch am Modell selbst angewandt, also den Körper zerteilt und mit seiner Umgebung zu neuen Farbinseln verflochten (z.B. „rudern“, 2015).

Mich interessiert Haut in all ihren Farbschattierungen, als Membran zwischen innen und außen, auch als Reflektor des jeweiligen Umfelds. Die großen Hautflächen eines Rückens erlauben andere malerische Lösungen als die Feingliedrigkeit von Gesicht oder Händen. Haut ist etwas individuell Buntes, Verletzliches, Vergängliches, individuell Duftendes, das sich unter dem Einfluss von Wärme und Licht ständig in Veränderung befindet. Zusätzlich ist Haut konfrontiert mit Kleidung oder einem Raum mit Möbeln. Die Begegnung der Haut mit der Umwelt – die Begegnung des menschlichen Körpers mit dem Raumkörper – und die Umsetzung dessen in Malerei interessiert mich ebenfalls seit meinem Studium. Die ursprüngliche Motivation für den Beginn der Arbeit an den Männerbildern war außerdem, mein Männerbild für mich selbst sichtbar zu machen und auf die Probe zu stellen.

Rosa war Zauners Lieblingsfarbe und zu besonderen Anlässen wie z.B. zu seinen Lesungen trug er einen rosa Overall. Da es im Winter im Atelier ziemlich kalt ist, hatte ich die Idee, diesen Anzug mit seiner rosa Draperie in das Bild mit einzubeziehen. Rosa wird von Kindern, wenn sie Menschen oder Gesichter malen, als Hautfarbe benützt. Es war für mich interessant, den Farbkörper – mein gemaltes Geflecht von Hauttönen wie grün, lila, orange, rosa, braun und rot – der Fläche eines extrahierten hautähnlichen Farbtons gegenüberzustellen. Der rosa Anzug hat etwas sehr Fleischliches und wirkt wie eine weibliche Verkleidung.

Während der Arbeit an einem Bild bekomme ich meistens Lust, dasselbe Motiv in eine andere Farbigkeit getaucht oder von einem anderen Blickwinkel aus gesehen nochmals zu probieren und vielleicht noch besser auf den Punkt zu bringen. Das Konzept der Wiederholung eines Motivs erleichtert und verdichtet zugleich den Arbeitsprozess und bietet die Möglichkeit, bei der Arbeit von technischen Fragen nicht abgelenkt zu sein, sowie im idealen Fall „von sich selbst abzuheben“, um intuitiv nach neuen Bildlösungen greifen zu können.

Ich gehe immer von Motiven aus, die ich nach langem Überlegen und Ausprobieren im Atelier inszeniere, mein Atelier ist die Bühne des Modells und auch die Bühne für Tisch und Stühle. Ergänzt wird die Szene unter Anderem von meinen Skulpturen oder Objekten, die aus Materialien wie Malfetzen, Tuben oder Rasierklingen bestehen, welche während des Malens als Abfall übrigbleiben. Hier werden Reste als Reliquien inszeniert, welche durch ihre Titel wie Wolke, Haut oder braune Auswüchse poetische Assoziationskraft entwickeln. In Hey! (2015) sitzt die Figur beispielsweise in einem von gespannten Schnüren gezeichneten Raum, den ein gemalter Malfetzen ziert.

Obwohl die allgenmeinen Regeln der räumlichen Perspektive vorwiegend eingehalten werden, kippt die mit Auslassungen arbeitende Malweise mitunter den Hintergrund in den Vordergrund, wodurch die Figur in einen vagen, fragilen Zwischenraum gerät. Der Zwischenraum bezeichnet die Balance zwischen dem Raum als ersehntem Rückzugsort nach eigenem Geschmack und dem Raum als Ort der Einsamkeit und des Scheiterns an sich selbst. Der Raum als Ort, an dem Desorientierung sichtbar wird.

Das Schrille, Schockierende ist nicht mein Bedürfnis. Es ist für mich nicht nötig, mit Hilfe einer schmerzvollen Pose des Modells Spannung ins Bild zu bringen. Auch vermeide ich, den direkten Blick eines Gesichts oder Geschlechtsteile abzubilden, da beides den Blick des Betrachters fokussiert und mein Bemühen um eine gute Komposition von Form und Farbe konterkarieren würde. Inhaltliche Spannung setze ich eher in den Dialog zwischen der dargestellten Figur und dem Umraum: In die Fragen, ob der Körper seine Umgebung dominiert, oder wie weit er an den Rand gedrängt werden kann. Ob er Teil des Raumes ist oder dem Raum fremd bleibt und verloren geht.

Das Malen nach Modell ist ein interaktiver Prozess. Auch wenn der Großteil des Bildes in Abwesenheit des Modells entsteht, fließt die Stimmung während der Sitzungen und was währenddessen erzählt wird in die Bilder ein.

Malerei kann während eines längeren Zeitraums Gesehenes (und Gehörtes und Gefühltes) sowohl in die Materialität von Farben und Linien als auch in einen persönlichen Pinselduktus übersetzen. Hansjörg Zauner hat während des Malens immer stark gestikulierend geredet und nur aufgrund meiner dezidierten Aufforderung seine Hand oder seinen Fuß für eine gewisse Zeit still gehalten. Die lebendige, sich in ständiger Veränderung befindliche Wirklichkeit ist die spannendste Herausforderung für mich. Bei der freien (d.h. ohne technische Hilfsmittel) Übertragung des Gesehenen auf die Leinwand passieren Ungenauigkeiten und zugleich Präzisierungen, die für den Entwicklungsprozess des Bildes sehr interessant sind. Die Momentaufnahme eines Fotos könnte die Hautfarben, so wie ich sie am Modell sehe, nicht sichtbar machen. Daher habe ich nicht nach Fotos, sondern mit dem präsenten Modell gearbeitet.

Von 2007 bis 2017 habe ich ausschließlich mit dem Schriftsteller Hansjörg Zauner als Modell gemalt, die darauffolgenden Möbelbilder feiern nun das Modell-freie Atelier, wobei aber sowohl der Tisch als auch die Stühle aktive Modelle bleiben. Als Farbträger der Farbe Braun spielen Möbel in den letzten Jahren eine wichtige Rolle. Die sinnlich gemalte Oberfläche der Haut findet sich in der Umsetzung der Holzstruktur und den Lichteffekten der Möbel… wieder. Wie zuvor beim Malen mit Modell reduziere ich mich auf jene Details, deren Ausführung mich hauptsächlich interessieren. Also kann von einem Stuhl vielleicht nur die Lehne mit dem Lichtspiel der darauf glänzenden Sonne auf ihrer Oberfläche im Bild sichtbar sein. Aus den dadurch entstehenden Fragmenten versuche ich, Zusammenhänge in einer neuen, vielleicht auch irritierenden Perspektive zu entwickeln. Miteinander in Verbindung gebracht, formen sich die fragmentierten Gegenstände zu spannenden Hybriden, die sich nicht mehr unmittelbar auf den Innenraum des Ateliers zurückführen lassen.

Letztendlich gehe ich davon aus, dass die Wahl des Motivs nicht für die Qualität eines Bildes entscheidend ist. Die Frage ist: welches Motiv ermöglicht die größtmögliche emotionale Intensität während des Malens, denn diese Intensität ist die Energie, die den Betrachter schließlich berühren kann.

Judith Zillich