Selbstportraits

Katalogtext, Judith Zillich, 2001


Das Anziehende an Malerei ist für mich die unzeitgemäße, zeitaufwendige Herstellung eines nicht reproduzierbaren Einzelstücks. Von der Herstellung der Leinwand bis zum letzten Pinselstrich kann ich alleine darüber verfügen, was auf und mit der Leinwand passiert, unabhängig von technischen Einrichtungen, ohne Labor, ohne großen Kostenaufwand und ohne Hilfe von Fachleuten. Außerdem fasziniert mich, daß sich zur Abbildung der rein optischen Bildrealität zusätzlich unvermeidlich die innere, emotionale Wahrnehmungsrealität ausdrückt. Die Divergenz zwischen Objektivem und Subjektivem beinhaltet unendlich viele Umsetzungsmöglichkeiten. Den Grenzen dieses Spielraums möchte ich mich so langsam wie möglich nähern.

Mit der thematischen Konzentration auf Selbstportraits wiederhole ich eine Bildsituation, wodurch ich mir Zusammenhänge bewußt machen will, um etwas zu vertiefen und schließlich verändern zu können.
Das Malen von sich selbst erzieht zu Ehrlichkeit.
Die lange Traditionsgeschichte von Malerei macht es schwierig, von dieser Kultur zu lernen, ohne in der Wiederholung bewährter Bildlösungen stecken zu bleiben. Indem ich alte, mich aber sehr ansprechende Vorgangsweisen und Maltechniken an „mir selbst“ anwende, versuche ich auch, dazu einen zeitgemäßen, eigenen Zugang zu finden. Denn dort, wo ich Gesehenes nur zitiere, stellt sich Unbehagen ein. Sich selbst zu thematisieren ist eine Möglichkeit, den „eigenen Stil“ zu entwickeln, ohne alles Bisherige auf den Kopf stellen zu müssen.

Als ich begonnen habe, vor dem Spiegel zu arbeiten, wollte ich mir vor allem das Gegenüber eines rund um die Uhr verfügbaren Modells sichern. Gegen das so entstandene Bedürfnis nach Selbstthematisierung stand immer meine Abneigung, Privates nach außen zu tragen. Diese Ambivalenz ist für mich nach wie vor anregend. Sie schlägt sich in möglichst knapp gewählten Bildausschnitten nieder und phasenweise entstehen Bildgruppen, in denen das Gesicht verfremdet ist. Beispiel dafür sind Portraits, die ich über Häkelstrukturen gemalt habe. Die Gesichtskonturen vermischen sich mit dem Häkelmuster. Nur bei frontaler Beleuchtung wirkt das Portrait durch seine Farben, während bei schräger Beleuchtung die Malerei im Schatten der Häkelstruktur untergeht.
Der Gesichtskörper formuliert sich zwischen der Hintergrundfläche des Raumes und der davon farblich abgehobenen Vordergrundfläche des Kleidungsstückes. Die vielschichtigen Farbschattierungen der Haut bringen Räumlichkeit in das flächig angelegte Bild. Während der Hals in der Vordergrundfläche steckt, ragt der Kopf oft aus der Bildfläche hinaus. Das Gesicht korrespondiert mit dem Halsausschnitt und neigt sich gegen den linken, rechten oder oberen Bildrand

Seit ich 1998 mit dem Malen von 30x30cm großen Portraits begonnen habe, präsentiere ich immer mehrere Bilder in Beziehung zueinander. Das neunteilige Würfelportrait ist das Ergebnis des Versuchs, mehrere Portraits auf einem dreidimensionalen Objekt unterzubringen. Diese Arbeit soll vom Betrachter angegriffen werden, der erst durch ein Wenden der einzelnen Würfel die sechs verschiedenen Portraits entdecken kann, woraufhin ein bevorzugtes Portrait aufgedeckt oder aus verschiedenen Teilstücken ein individuelles Bild zusammenstellt werden könnte. Dieser Prozeß ist spannend, denn hierbei wird nachvollziehbar offensichtlich, daß jeder Betrachter seinen persönlichen Zugang zu meinen Portraits findet. An dieser Portraitvariante waren für mich sowohl der kubistische Effekt als auch die abstrakten Momente der einzeln herausgegriffenen Würfelteile überraschend und unbeabsichtigt.
Schon mit Würfeln beschäftigt, war die nächste Intention, ein ganzes Gesicht auf nur einen – an sich dafür zu kleinen und dem Kopf durch seine Kantigkeit unangemessenen – Würfel zu projizieren, wodurch zumeist eine Gesichtseite verkürzt ist und die Augen auf eine Nebenseite gekippt sind.

Um aber nicht in der Sicherheit des Konzeptuellen und der handwerklichen Routine stecken zu bleiben, um die Dynamik der Malerei wieder stärker zu spüren, bin ich mit meinem Thema zuletzt doch auf größere Formate übergegangen. Die Malerei entwickelt sich dabei zu einem eigenwilligen Gegenüber, einer Persönlichkeit, die nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten lebt, welche begreifen und unterwerfen zu wollen man süchtig wird, ohne je zu wissen, ob man nicht das Opfer seiner eigenen Ideen geworden ist.

Judith Zillich, Wien im Sommer 2001